Die unverblümte Wahrheit: Freie Radikale sind lebensnotwendig

FREIE RADIKALE: DIE VERSCHWIEGENE GESCHICHTE DER REAKTIVEN SAUERSTOFFSPEZIES (ROS)

Beim Menschen werden reaktive Sauerstoffspezies (ROS) in jeder Zelle und in verschiedenen Zellkompartimenten erzeugt, darunter in den Zellmembranen, im Zytoplasma, im Zellkern und vor allem in den Mitochondrien. Die Mitochondrien, die als das Kraftwerk der Zelle bekannt sind, dienen als zentrale Orte für die ROS-Erzeugung durch Energiebildung. Darüber hinaus findet die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies an der Zellmembran statt, während Stoffwechselprozesse innerhalb der Zelle ebenfalls zur ROS-Produktion beitragen. Dies zeigt den inhärenten Zusammenhang zwischen Energietransfer und Produktion von freien Radikalen. Dieser Zusammenhang wird auch durch die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Erkenntnis untermauert, dass jede Zelle über Sauerstoffsensoren verfügt.

In den Mitochondrien erfolgt die Energieübertragung aus Elektronen über zwei Wege. Der eine ist ein High-Flux-Kreislauf, der zur Produktion von ATP führt und in der Medizin als Produktionsweg für die erforderliche Zellenergie anerkannt ist. Es gibt jedoch noch einen weiteren, weniger bekannten Low-Flux- Kreislauf, der im Mittelpunkt dieser Diskussion steht. Dieser Kreislauf trägt zur Produktion von freien Radikalen wie den reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) bei. Ohne mich in komplizierte Details zu vertiefen, möchte ich die wichtigsten Funktionen der ROS in diesem Low-Flux-Kreislauf zusammenfassen:

1. Unverzichtbar für den Energietransfer und die biologische Regulation
   Sauerstoffmoleküle müssen nacheinander Elektronen abgeben, um die Energieübertragung zu ermöglichen. Während der Beschleunigung dieser freigesetzten Elektronen, die sich aus ihrer Umlaufbahn um das Sauerstoffmolekül lösen, kann ihre Energie entweder durch die Abgabe von Licht übertragen werden, oder indem sie eine Verbindung mit Elektronen aus anderen Substanzen eingehen und dadurch wieder stabil werden. Durch diesen Prozess der Energieübertragung dienen ROS als Regulator für zelluläre und metabolische Prozesse.

   Der russische Biologe Alexander Gurwitsch entdeckte 1923 als erster die regulierende Wirkung von Licht auf biologische Abläufe. Diese biologische Natur des Lichts spiegelt sich auch in Albert Einsteins Gleichung (E = mc2) wider: Licht ist Energie und Energie ist Licht. Und nicht nur das: Wissenschaftler haben gerade erst herausgefunden, dass Licht auch für die ATP-Synthese in den Mitochondrien erforderlich ist. Dies ist nicht so schwer zu verstehen, da sich sowohl die Chloroplasten als auch die Mitochondrien aus primitiven Bakterienzellen entwickelt haben, die in der Lage waren, Lichtenergie zu nutzen.

2. Unverzichtbar für die Immunantwort
   Da freie Radikale sehr instabil und reaktiv sind, verfügt der menschliche Körper über verschiedene antioxidative Mechanismen, darunter Enzyme wie Superoxid-Dismutase (SOD) und Katalase. Diese Enzyme fungieren als Energietransfervermittler und Schutzbarriere zugleich. Einerseits ermöglicht ihre Existenz die Neutralisierung von verschiedenen freien Radikalen bzw. deren Nebenprodukten, um die zelluläre Integrität zu gewährleisten. Andererseits können diese Enzyme die Zellen davor schützen, von diesen reaktiven freien Radikalen angegriffen zu werden. Aufgrund dieser Eigenschaft ist ihre Konzentration im Körper direkt mit der antioxidativen Kapazität und der Immunantwort verbunden. Dies ist der Grund, warum körperliche Betätigung uns helfen kann, eine bessere Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten aufzubauen. Das Wesen der körperlichen Betätigung besteht darin, dass sie die Bildung von mehr freien Radikalen anregt, was den Körper veranlasst, zusätzliche antioxidative Enzyme zu produzieren und das Immunsystem zu stärken.

   Umgekehrt haben Menschen mit HIV aufgrund eines Mangels an antioxidativen Enzymen eine schwächere Immunreaktion. Die zunehmende Tendenz zur Einnahme von Antioxidantien ist daher auf den Wunsch zurückzuführen, das Immunsystem zu stärken. Dieser Ansatz birgt jedoch zwei potenzielle Risiken. Erstens dienen freie Radikale als Auslöser für verschiedene physiologische Funktions- und Regulationswege. Wir können sie nicht einfach unterdrücken, nur weil sie uns möglicherweise schaden könnten. Außerdem müssen Antioxidantien am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und in der richtigen Menge vorhanden sein, sonst werden sie nicht nur nutzlos für uns sein, sondern möglicherweise sogar unerwünschte Nebenwirkungen haben. Zweitens besitzen Antioxidantien selbst reaktive Eigenschaften und sind potenziell in der Lage, Gesundheitsschäden zu verursachen, wie zahlreiche Studien belegen.

   Die weltweit größte Studie zu Nahrungsergänzungsmitteln hat gezeigt, dass in der Gruppe, die Nahrungsergänzungsmittel einnahm, mehr Krebsfälle auftraten als in der Kontrollgruppe. Darüber hinaus bestätigen immer mehr Studien die potenziellen Risiken, die mit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln verbunden sind. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) für die menschliche Gesundheit und machen deutlich, dass wir uns nicht nur auf ihre negativen Auswirkungen konzentrieren dürfen.

3. Unverzichtbar für die Abwehr schädlicher Pathogene
   Im Laufe unseres Lebens trifft unser Körper auf verschiedene Bakterien und Viren, für deren Abwehr und Bekämpfung wir angemessene Schutz- und Abwehrmechanismen benötigen. Im menschlichen Körper gibt es zwei primäre Abwehrmechanismen. Der eine ist die Produktion von Wasserstoffperoxid (H₂O₂), und der andere ist die Produktion von hypochloriger Säure (HCIO). Wasserstoffperoxid, das mit Hilfe des antioxidativen Enzyms Superoxid-Dismutase (SOD) aus Superoxid erzeugt wird, dient als Überwachungssystem, um die Anwesenheit schädlicher Bakterien zu erkennen. Sobald es solche schädlichen Substanzen wahrnimmt, wird es umgehend in hypochlorige Säure umgewandelt, die ein extrem reaktives freies Radikal ist und derartige Bakterien und Viren abtötet.

   Das ist möglich, weil diese invasiven Bakterien und Viren keine antioxidativen Enzyme besitzen, die sie vor freien Radikalen schützen könnten. Freie Radikale spielen also eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung unseres Körpers gegen schädliche Krankheitserreger.